Ja – Nein – äh: Jein?!

Warum Entscheidungen manchmal schwer fallen und wie wir zu einer stimmigen Lösung kommen.

Von Julia Söllner / Psychologin & Personal Coach

Innere Zerrissenheit kennen wir alle. Wenn spontane Reaktionen gefragt sind oder auch im weitaus bedeutenderen Fall große Entscheidungen anstehen, merken wir innerlich schnell: Einerseits ja, aber andererseits… oder dass wir zuerst ja zu etwas sagen und nach einer Zeit merken: Obwohl – nein! – warum eigentlich? Eigentlich finde ich, dass…

Je wichtiger die Entscheidung, desto schwieriger kann es werden. Ob es darum geht, nach Shanghai umzuziehen, weiter- oder wieder zurückziehen, einen neuen Job anzufangen oder doch beim Altgewohnten zu bleiben oder ob und wie wir ein Gespräch führen, dass uns bevorsteht – herauszufinden, was wir wirklich wollen ist oft gar nicht so leicht und braucht vor allem: Klärung mit uns selbst. Um die innere Uneinigkeit, das Für und das Wieder, das Eigentlich und Aber zu verstehen und zu sortieren, kann uns deshalb zunächst einmal helfen, unsere unterschiedlichen inneren Meinungen und Gefühle einmal genauer zu beobachten, unseren Gedanken konkret zuzuhören, mal nachzuspüren, kurzum: die Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Und wenn wir hier von unterschiedlichen inneren Meinungen sprechen, heißt das nicht, dass mit uns etwas nicht in Ordnung ist. Ganz im Gegenteil: Wir alle haben viele verschiedene Facetten oder Anteile unserer Persönlichkeit, die sich auch tatsächlich in ganz unterschiedlichen Gedanken und Gefühlen zeigen. In der psychologischen Literatur wurde sich vielfach damit beschäftigt, der Hamburger Psychologe Friedemann Schulz von Thun redet z.B. vom Umgang mit dem inneren Team. Und um es mal ganz konkret zu sagen: Den Schweinehund gegen den inneren Moralapostel kennen wir nach einem langen Tag ja alle: Ins Gym oder auf die Couch? Salat oder Pizza? Da stehen sich zwei Anteile gegenüber.

Julia Söllner kommt aus Hamburg, ist Diplom-Psychologin und zertifizierter Personal und Business Coach und Trainer. Sie begleitet Klienten in den Body&Soul Medical Kliniken in 1:1 Gesprächen mit systemischen, tiefenden und lösungsorientierten Techniken dabei, ihre persönlichen Gründe für und Wege aus z.B. Stress, Angst, Depressionen, Beziehungs- und Familienkrisen, Work-Life-Balance und Kommunikationskonflikten zu finden. Ziel ist es, dass Klienten neue Perspektiven auf sich und ihre Situation entwickeln und eigene Ressourcen (wieder-)entdecken, die neue Wege und eine nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung ermöglichen.

Ich möchte das an einem recht einfachen Beispiel noch etwas verdeutlichen: Susi fragt Peter zum dritten Mal, ob sie bei ihm die Hausaufgaben abschreiben darf. Peter reagiert zögerlich und sagt dann mit leicht unzufriedenem Gesichtsausdruck: Hm, ja… in Ordnung. Wenn wir hier nur das gesprochene Wort ansehen scheint ja alles klar zu sein – Peter findet es doch in Ordnung, oder nicht? Einerseits stimmt das auch. An seiner zögerlichen Reaktion und seiner Mimik lässt sich aber ebenfalls erkennen, dass nicht all seine Anteile in Ordnung damit sind. Da meldet sich z.B. innerlich einer, der denkt: Wieso eigentlich? Ich habe viel Arbeit in die Hausaufgaben gesteckt und sie hat sogar einige Male gefehlt in der letzten Zeit!! Und noch ein anderer Gedanke kommt auf: Nun sei doch nicht so kleinlich und gib’ ihr die Hausaufgaben – du willst doch ein wahrer Freund sein?!

An diesem kleinen Beispiel wird ersichtlich, was sich manchmal in uns abspielt. Wir sagen nach außen “Ja“ oder “Nein“ zu etwas, innerlich melden sich aber viele Anteile und Gefühle mit anderen Standpunkten – die Folge ist ein nicht stimmiges Gefühl, widersprüchliche Mimik und Gestik, Aufschieberei, mit zu sein aber irgendwie nicht so richtig dabei zu sein. Und wenn sich ein innerliches Für und ein anderes Wieder quasi im Duell direkt und stark gegenüber stehen, wissen wir oft gar nicht, was wir wollen – wir befinden uns in einer festgefahrenen Situation, wissen nicht vor und nicht zurück und schon gar nicht, was wir sagen sollen.

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Um Entscheidungen zu treffen, die all unsere inneren Anteile mit ihren Argumenten und Gefühlen berücksichtigt, müssen wir uns also zunächst klar darüber werden, was – oder wer – sich im Hinblick auf eine Frage oder Entscheidung alles in uns meldet. Was ist unser erster Gedanke, was oder wer meldet sich sofort? Was denken wir danach, wer meldet sich noch? Welche Gefühle melden sich? Was zeigt sich noch, vielleicht erst
einen Tag später und nur ganz leise? Unsere Gedanken aufzuschreiben um sich einen Überblick zu verschaffen, kann sehr klärend sein, weil wir unser gedankliches Hin und Her einfangen und Schwarz auf Weiß vor uns geschrieben sehen. Dann haben wir dadurch auch die Chance zu sehen: Welche Erkenntnisse ergeben sich eigentlich daraus? Vielleicht sehe ich dort Dinge geschrieben, die im gedanklichen Durcheinander nur eine leise oder – durch ein Gefühl ausgedrückt – gar keine konkrete Stimme bekommen und deshalb immer unklar geblieben sind – eigentlich aber wichtig sind. Auf dieser Grundlage können wir auch besser nachfühlen, wozu wir uns entscheiden wollen – denn Argumente sind das Eine, das richtige Gefühl aber das Andere und das weiß meistens schon früh, was es eigentlich will. Wir haben oft nur verlernt, darauf zu hören oder denken, wir müssen uns dafür rechtfertigen. Im Beispiel von Susi und Peter
wäre ein Kompromiss eine stimmige Möglichkeit, um dem Einerseits-Andererseits seiner inneren Anteile gerecht zu werden. Er könnte zu ihr sagen: Ok, dieses Mal gern. Wenn du Probleme mit den Hausaufgaben hast, können wir uns auch gerne mal zusammen hinsetzen und sie gemeinsam erledigen, was meinst du? So wird Peter seinem hilfsbereiten Anteil gerecht, aber auch dem, dem Gerechtigkeit wichtig ist und ebenfalls dem, der ein guter Freund sein will.

Bei weitreichenden Entscheidungen ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen, um sich über all seine Gedanken und Gefühlen klar zu werden. Nicht alles ist sofort greifbar – manches zeigt sich erst durch ein unklares Gefühl und will erst einmal reflektiert und entdeckt werden – was steckt eigentlich hinter diesem Gefühl? Ich unterstütze Klienten bei den Prozessen des sich-klar-werden, denn diese Reflektion ist gerade bei wichtigen Entscheidungen nicht immer einfach. Und manchmal geht es auch vielmehr um den Umgang mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen. Das kann auch bedeuten, nein zu sagen – dafür aber ja zu sich selbst und seiner eigenen Wahrheit. Schlussendlich ist immer am wichtigsten – egal ob es um kleinere oder große Dinge geht – dass wir authentisch damit sind, was wir wirklich wollen und was sich letztlich gut und stimmig anfühlt. Und das mag manchmal auch verborgen und dechiffriert hinter unseren gedanklichen Argumenten liegen.


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